Vom Fensterbrett naschen

Obst, Kräuter und Gemüse von der Couch aus pflücken? Selbstversorgung ist auch ohne Garten möglich – mit urbaner Permakultur.

Es duftet nach fruchtig-frischen Himbeeren, pikant-herbem Salbei, reifen Paradeisern… Strecken Sie einfach die Hand aus und kosten Sie davon. Ja, das klingt ganz nach Schlaraffenland. Ist aber kein Schmäh, sondern möglich. Oder wollen Sie lieber zum x-ten Mal Krisen aufgetischt bekommen? Finanzkrisen, Energiekrisen, Chemiekrisen … und wie sie alle heißen, werden uns doch tagtäglich serviert. Bekömmlich sind sie aber nicht. Im Gegenteil. Außer Angst bringen sie uns nichts. Drum pfeifen wir drauf. Denn erstens lassen wir uns nicht fertigmachen, zweitens ist so schnell noch niemand verhungert hierzulande. Und drittens können wir uns ja auch ein bisschen unabhängig machen von der Industrie und ihren Konzernen. Das heißt jetzt aber nicht, dass Sie gleich total aussteigen, ein Stück Land erwerben und zur Biobäuerin mutieren müssen. Schon ein kleiner Teil Selbstversorgung reicht aus, beruhigt die Nerven und macht darüber hinaus noch Spaß. Und: Es funktioniert ganz ohne Garten oder Balkon, eine Wand oder ein Fensterbrett tun’s auch.

„Die Natur nutzen und nicht ausnutzen!“

(Sepp Holzer, Permakultur-Pionier)

Klingt gut, denken Sie jetzt vielleicht, aber was ist Permakultur? Ganz einfach: Der Begriff – zusammengesetzt aus den englischen Wörtern „permanent“ und „agriculture“ – heißt so viel wie Landwirtschaft im Einklang mit der Natur – und nicht im Kampf gegen sie. Permakultur zielt also auf die Bewahrung von dauerhaft nachhaltigen biologischen Kreisläufen und stellt ein systemisches Verständnis und ethisches Handeln ins Zentrum. Dieses Konzept wird seit einiger Zeit auch im städtischen Bereich angewendet, wodurch der Lebensraum für die in Ballungszentren lebenden Menschen reichhaltiger werden soll. Und da der Großteil der Weltbevölkerung in Städten lebt und durchschnittlich nur ein Prozent der Bevölkerung LandwirtInnen sind, ist es nur logisch, dass die Veränderung von den KonsumentInnen in der Stadt ausge­hen muss.  Dazu kommt, dass die statistische landwirtschaftliche Fläche, die einen Menschen ernährt, beständig schrumpft.

„Permakultur funktioniert überall“

(Joe Polaischer, Permakultur-Designer)

Mit der urbanen Permakultur können auch Stadtmenschen Gemüse und Obst selbst anbauen und sich sicher sein, dass es frisch und „frei von Agro-Chemikalien ist und Ressourcen schonend und ohne Gentechnik hergestellt wurde“, schreibt Sepp Holzer im Vorwort des Buches „Jedem sein Grün! Urbane Permakultur: Selbstversorgung ohne Garten“. Der Landwirt, der bereits in den 60er-Jahren auf seinem Krameterhof im Lungau ein Pilotprojekt zur Permakultur geschaffen hat und seither als internationaler Berater für naturnahe Landwirtschaft tätig ist, gilt – wenngleich umstritten – als österreichischer Experte auf dem Gebiet. In seinem Buch „Wo ein Wille, da ein Weg“ bezeichnet er Permakultur als „ein Stück Hoffnung … wie wir im Kleinen und im Großen der Zerstörung der Erde wirksam begegnen können“. Doch es gehe auch um die Menschen selbst, meint Holzer, viele würden mit dem „Leben in dieser Gesellschaft kaum noch zurechtkommen – Einsamkeit, Depres­sion, Krankheit sind die Folgen. Der Hauptgrund liegt meiner Meinung nach in der ‚Entwurzelung’, im Verlust der Ver­bindung zur Natur …“.

 „Die Natur ist in der Lage, sich selbst zu erhal­ten“

(Masanobo Fukuoka, Mikrobiologe und Bauer)

Warum Permakultur?
Permakultur steht im Gegen­satz zur konventionellen Landwirt­schaft, die Monokulturen auf überwiegend großen Flächen beinhaltet. Der Haken dabei:  Monokulturen kommen ohne Düngemittel (Kunstdünger), Pestizide (Insektengifte), Her­bizide (Unkrautvernichter), Fungizide (Pilzgifte) und intensive Bewässerung in der Regel nicht aus, der Boden ist schnell erschöpft und die Ernte fällt aus.

Durch die chemischen Spritzmittel und ihre Wirkung auf das Nervensystem von Insekten (und anderen Lebewesen) verlieren Bienen die Orientierung und „fliegen sich zu Tode“. Das rasche Abern­ten riesiger landwirtschaftlicher Flächen führt zudem dazu, dass der Ort, an dem es zuvor noch reichlich Futter in Form von Pollen und Nek­tar gab, plötzlich zur Wüste wird. Die Insekten finden keine Nahrung mehr und mit ihrem Aussterben ist die gesamte Nahrungsmittelpro­duktion für den Menschen in Gefahr. Das kann mit Permakultur nicht passieren.

Permakultur ist Platz sparend und Kosten senkend
Laut Angaben des österreichischen Permakultur-Beraters Bernhard Gruber kann man auf einer Bodenfläche, die im konventionellen Anbau Platz für vier Salat­köpfe bietet, mit einem Salatbaum (siehe Anleitung unten) und ohne Agro-Chemikalien 38 Köpfe ziehen. Das ent­spricht fast dem Zehnfachen. „Daher traue ich mich zu behaupten, dass eine Permakultur mit 10 bis 15 Prozent der bisherigen Agrarfläche auskommt, um einen Menschen zu versorgen, insbesondere dann, wenn wir unseren Fleischkonsum etwas einschränken“, schreibt Gruber.

Und Rodolphe Grosléziat legt in seinem Buch „Unser Garten ist Gold wert“ am Beispiel seiner Region und dem Selbstversorgergarten seiner fünfköpfigen Familie einen Kostenvergleich für den Verbrauch eines Jahres vor. Bezugs­größe war die gesamte Ernte aus dem eigenen Garten:

3.650 € bei Kauf der entsprechenden Menge im Bioladen

2.950 € bei Kauf im Supermarkt aus konventi­oneller Landwirtschaft

1.060 € bei Vertragsanbau mit einem Biobauern

200 € im eigenen Garten und 3,5 Stunden Arbeit an der frischen Luft pro Woche

„Eine andere Welt ist pflanzbar!“

(Ella von der Haide)

Gegen die typischen Einwände
„Ja eh, aber viel kann das nicht bringen“, sagen Skeptikerinnen, „allein von dem, was man auf einem Balkon erntet, kann man doch niemals leben“. Das muss auch nicht sein, geht es doch nicht um eine komplette Selbstversorgung, ein Teil reicht schon – und urbanes Gärtnern bringt noch eine ganze Reihe anderer positiver Faktoren:

Naturnähe: Der Kontakt mit Erde und Pflanzen wirkt therapeutisch gegen Stress.

Eigeninitiative: Das Gefühl, sich selbst mit Lebensmitteln versorgen zu können, befreit.

Verbundenheit: Mit anderen Menschen zu arbeiten, Erfahrungen zu teilen und die Ernte zu verschenken, verbindet.

Gesundheit: Selbst ernten animiert zum Selbstko­chen, Backen, Einmachen mit qualitativ erst­klassigen Lebensmitteln, abseits von Fast­food und „rein bauchfüllender Nahrung“, frei von Pestiziden und Nitraten.

Wissen: Selbstgärtnern fördert den Sachverstand für die Qualität und den Wert von Lebensmitteln.

Ökologie: Man lernt, auf Hy­bridsaatgut und gentech­nisch veränderte  Pflanzen zu verzichten und Kompost selbst herzustellen.

Alles zusammen ist Lebensqualität, die wenig kostet und die Natur schont.

Und so geht’s – Beispiele und Möglichkeiten für jede/n

In der Wohnung (Abb. Seite 76 im Buch „Jedem sein Grün“)
Im Inneren der südseitig gelegenen Wohnung von Doris S. gedeihen Paradeiser, Salat und Kräuter – ohne großen Aufwand.

Lange Zeit kaufte die Wienerin Kresse, Basilikum und Petersilie in Blumentöp­fen, die sie nach dem Abernten wegwerfen musste. Durch Internet-Videos über urba­nes Gärtnern ist sie draufgekom­men, dass es auch anders geht: „Ich habe große Blumenkästen gekauft und die komplette Fens­terbankfläche, die Heizkörper im Sommer und freie Regale am Fenster genutzt, die Kästen waren weiß und passten gut in die Wohnung. Ich kaufte Erde, teilweise nahm ich auch Erde von draußen, säte Tomaten und Salat“. Mittlerweile kompostiert Doris S. sogar ihre Küchenabfälle, indem sie diese in die Erde einarbeitet oder oben drauf legt. Dadurch hat sich die Ernte vervielfacht. „Ich dachte, solche Pflanzungen wären viel Arbeit, aber es funktioniert von alleine, man muss nur gießen und die großen Tröge trocknen zum Glück nicht so schnell aus.“

Auf dem Mini-Balkon (Abb. Seite 81)
Günstig liegt der kleine Balkon von Fabienne F. mit Nordwest-Ausrichtung nicht, doch mit der Pflanzung von Halbschatten liebenden Kräutern und Gemüse wirkt er wie ein Dschungel.

Nach einem Kurs über Permakultur machte sich der Schweizer an die Arbeit. Zuallererst bastelte er sich einen Sichtschutz aus Weidenästen, der zugleich als Windschutz dient. Dann besorgte er sich gewöhnliche Blumentöpfe, die er in Balkonkistchen setzte. Damit konnten die Töpfe auf dem Bal­kongeländer platziert werden, ohne die Infra­struktur zu beschädigen. Da er die Erde selbst herstellen wollte, musste er Kompost produzieren: Er legte einen alten Korb mit Karton und grobem Häckselmaterial aus und füllte ihn mit Resten der Weiden, Kehrricht, Staubsaugerinhalt (Kat­zenhaare), alter Erde vertrockneter Blumen­töpfe, Laub, Küchenabfällen, Heu und zuletzt ein paar Würmern. Nach wenigen Monaten konnte er hervorragende Komposterde ernten und mit der Pflanzung loslegen: Wegen der Lage des Balkons griff er auf Halbschatten lie­bende Kräuter und Gemüse wie Kresse, Mangold, Petersilie, Liebstöckl, Pfefferminze, Schnitt- und Pflücksalate, Eisenkraut, Sellerie, Zwiebel… zurück. Die anderen Kräuter wie Basilikum, Salbei, Thymian, Ros­marin und Ysop kamen auf die sonnigere Fens­terbank der Küche.

Tipp: Gut ist es, in einem Pflanzgefäß eine Mischkultur aufzubauen, z.B. Bärlauch, Walderdbeeren, Schlangenknoblauch, Kapuzi­nerkresse und Winterportulak, die passen gut zusammen und bieten von April bis Okto­ber etwas zu essen; wenn eines abstirbt, kommt das Nächste. (www.permakultur-design.com)

Essbare Wände (Abb. Seite 44)
Begrünte Mauern, von denen man auch essen kann, ist den meisten nur in Form des Wilden Weins und des Spalierobsts ein Begriff. Der französische Künstler und Tropenbotaniker Patrick Blanc weitete diese Idee aus und bepflanzt mittlerweile die Fassaden öffentlicher Gebäude mit Kräutern, Gemüse und Obst beinahe aller Art.  Näheres unter www.verticalgardenpatrickblanc.com.
Besonders urbanen Gärtnerinnen, die bloß über einen kleinen Balkon verfügen, bietet die vertikale Begrünung zusätzlichen Platz für Nutzpflanzen. Mit altbewährten Rankhilfen aus Bambus können beispielsweise Tomatenpflanzen gezogen werden. Dahinterliegende Wände wirken zudem als Wärmespeicher, auch für Wärme­ liebende Kiwi-Pflanzen. Aber auch natürlich ran­kende Pflanzen wie Erbsen, Bohnen, Gurken, Melonen und Zucchini eignen sich für den vertikalen Anbau.

Guerilla Gardening (Abb. Seite 47)
Seit mehr als 40 Jahren wird diese Methode weltweit von Einzelpersonen und Gruppen praktiziert. Machen Sie es nach und nutzen Sie die nächstbeste Verkehrsinsel, den kleinen Erdkreis rund um einen Baum, die Wiese ums Eck, den Park nahe der Wohnung… und pflanzen Sie dort heimlich – also am besten in der Nacht – all das, was Sie mögen und oder brauchen: von der Blumenpracht als Zierde bis zur Maispflanze ist alles möglich… Infos unter www.guerillagaertner.com.

Bei Platzmangel auf dem Balkon oder im Garten: Salatbaum (Abb. Seite 104)
Auch auf dem engsten Balkon oder im kleinsten Garten muss auf eine üppige Ernte nicht verzichtet werden. Polypropylen-Rohre in Blumentöpfe gesetzt, leisten Abhilfe. Bei dieser Art von Pflanzung gedeihen Salat, Kohl, Erbsen und Bohnen, Zucchini, Tomaten, Rüben, Radieschen, Knoblauch, Kohlrabi, Kürbis, Zwiebeln und sogar Erdbeeren oder Blumen.
Anleitung: Für die Pflanzlöcher das Rohr mit 25 cm Durchmesser mit Löchern versehen. Dazu einen 50-mm-Lochbohrer auf der Bohrmaschine verwenden. Einen Blumentopf auf den Untersetzer stellen und das 25-cm-Rohr in den Blumentopf setzen. Zuerst unten mit verdichtetem Lehm fixieren. Hierauf kommt Humus und Muttererde. Nun das 4-cm- Rohr mittig in das breite Rohr setzen. Humus und Pflanzenerde gemischt in den äußeren Zwischenraum des Rohrs füllen. Das innere Rohr dient zum Bewässern und bleibt leer.

Buchtipp:
In diesem Ratgeber finden Menschen in der Stadt Ideen und Anleitungen zur Umsetzung ihrer Urban-Gardening-Projekte, praktische Tipps und Rezepte: Jedem sein Grün! Urbane Permakultur: Selbstversorgung ohne Garten, von Judith Anger u.a.; Kneipp Verlag 2012; € 24,99.

(Dagmar Buchta/WIENERIN entspannt leben, März 2012)