Tauschen statt kaufen
Wie viel ist ein Haarschnitt wert? Mehr als zehn Eier, weniger als eine Stunde Psychotherapie. Doch wenn Not herrscht, gelten andere Regeln.
Gemüse gegen Steuererklärung, Kleider gegen Kuchen, Babysitten gegen Textkorrektur: Der Tausch von Naturalien und Dienstleistungen liegt voll im Trend. Ob Tauschbörsen, Kostnix-Läden, Befreiungsfeste oder der Austausch von Talenten, privat initiiert oder vereinsmäßig organisiert, virtuell im Netz oder real von Hand zu Hand – Einrichtungen und Veranstaltungen dieser Art boomen seit Jahren.
Wahrscheinlich ist diese Entwicklung auch auf die aktuelle Wirtschaftskrise zurückzuführen. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten war Erfindergeist von jeher gefragt, um das Überleben zu sichern. Interessant dabei ist: Wenn bestimmte Güter dringender gebraucht werden als andere, verliert die Gleichwertigkeit getauschter Leistungen oder Waren an Bedeutung. Was knapp ist, kann teuer werden. So war es beispielsweise im Zweiten Weltkrieg üblich, Eier oder Milch gegen Schmuck zu tauschen.
Heute jedoch ist es nicht die Not, die immer mehr Menschen zum gegenseitigen Tauschen unterschiedlichster Dinge bewegt. Viele sind die konsumistische Wegwerfgesellschaft leid und wünschen sich ein nachhaltiges Wirtschaften, das sowohl die natürlichen Ressourcen als auch die Arbeitskraft vor kapitalistischer Ausbeutung schützt. Darüber hinaus fördere die geldlose Ökonomie das Miteinander, stärke das soziale Gefüge und mache darüber auch noch Spaß, so der einstimmige Tenor Tauschbegeisterter.
Der Tausch stärkt das soziale Miteinander
„Im Prinzip haben alle etwas davon“, weiß Karin Deutsch aus eigener Erfahrung. Die Grinberg-Therapeutin veranstaltet einmal monatlich sogenannte Befreiungsfeste bei sich zu Hause, wo jede/r etwas mitbringt, was er oder sie nicht mehr braucht, aber für jemand anderen von Nutzen sein kann. Dieser Austausch sei enorm bereichernd: „Die einen befreien sich von nicht mehr benötigten Dingen, die anderen erhalten die Freiheit, ohne Geld etwas zu bekommen“. In zwangloser Flohmarktatmosphäre, in der vom Buch bis zur Wohnungseinrichtung so gut wie alles angeboten und auch für das leibliche Wohl gesorgt wird, kommen Menschen in Kontakt, die einander bis dahin fremd waren. Manchmal ergibt sich daraus das eine oder andere weiterführende Projekt.
Arbeit gegen Kost und Logis
So wie im Fall von Daniel Brodofski. Der gelernte Tischler begegnete vor drei Jahren auf einer privat organisierten Tauschbörse einer Frau, die gerade auf der Suche nach einem Allround-Handwerker für die Renovierung ihres alten Bauernhauses war. Da ihr die finanziellen Mittel fehlten, schlug sie einen Deal der anderen Art vor: Arbeit gegen Kost und Logis. Brodofski war sofort Feuer und Flamme. „Für mich war diese Begegnung ein Glücksfall“, erzählt er, „ich hab’ damals schon länger überlegt, wie ich aus dem Hamsterrad aussteigen könnte“. Inzwischen ist das Haus zwar saniert, doch der Tischler bewohnt noch immer ein kleines Nebengebäude, kümmert sich weiterhin um anfallende Arbeiten in Haus und Garten, übernimmt Einkäufe und führt den Hund Gassi. Arbeitsleistungen, die er mittlerweile auch in der Nachbarschaft gegen andere materielle Güter tauscht. Auf die Frage, ob ihm bar jeder finanzieller Mittel nicht etwas fehle, kann er nur lachend den Kopf schütteln: „Ich habe doch alles, was ich brauche – und das ist sehr wenig“.
Vom Tauschen zum Schenken
Ein Leben ganz ohne Geld, das können sich nur wenige Menschen vorstellen. Auch von staatlicher Seite ist es nicht vorgesehen – zumindest sind die Steuerbehörden nicht wirklich auf diese Art von Ökonomie eingerichtet. Die meisten Tauschgeschäfte werden inoffiziell, also „schwarz“ abgewickelt. Genau genommen müssten sie jedoch bei der Umsatzsteuerberechnung und bei der Gewinnermittlung für die Einkommenssteuer berücksichtigt werden.
Bemessungsgrundlage beim Tausch (Güter gegen Güter) und bei tauschähnlichen Umsätzen (Dienstleistungen oder Güter gegen Dienstleistungen) ist der sogenannte gemeine Wert: Das ist der Preis, der im „gewöhnlichen Geschäftsverkehr“ für die Ware oder die Leistung zu erzielen wäre. Wenn Rechnungen gestellt und über Leistungen und Gegenleistungen genau Buch geführt wird, hat der Fiskus nichts dagegen.
Genau dieses Aufrechnen von Leistung und Gegenleistung geht radikaleren Tauschern jedoch gegen den Strich. Die feministische Forscherin Genevieve Vaughan etwa proklamiert ein Verständnis von Ökonomie, das über den geldlosen Tausch noch hinausgeht. Solange jede/r versuche, vom Tausch zu profitieren, solange die Frage „Was bekomme ich dafür?“ im Vordergrund stehe, hafte dem Tausch „etwas Feindliches“ an, meint Vaughan in ihrem Buch „For-Giving. Schenken und Vergeben“ (Ulrike Helmer Verlag 2008).
Wertunabhängiges Tauschen, sagt sie, sei ein Schritt in die richtige Richtung. Wirklich vom System löse sich allerdings erst, wer noch einen Schritt weitergeht – und Waren und Dienstleistungen einfach verschenkt.
Tausche Obst gegen Buchstaben
Auch auf Tauschbörsen orientiert sich der Wert von Gütern und Leistungen am gängigen Geldwert:
1 halbes Jahr lang Gemüse für 1 Steuererklärung
5 gepflanzte Obstbäume für 3 Seiten Text
1 Kleid für 2 selbstgemachte Kuchen
10 Stunden Babysitten für 12 Stunden Hausputz
1 Psychotherapiesitzung für 2 mal Haareschneiden
(Dagmar Buchta/Magazin der Österreichischen Liga für Menschenrechte, Dez. 2013)