Im Labyrinth unsäglicher Lust
Lässt sich weibliches Begehren abseits patriarchaler Termini beschreiben? Katherine Angel begibt sich in ihrem Buch „Ungebändigt“ auf die Suche nach geeigneten Worten.
„Fick mich. Oh ja, fick mich. Ich liebe es, wenn du mich fickst. Du bist so hart, du bist so groß. Oh, ich stelle mir vor, du schlägst mich, … ich schreie…“. Diese und ähnliche Sätze könne sie nicht mehr hören, klagt Katherine Angel in ihrem Buch „Ungebändigt“. Denn welche Absicht verfolgen sie, was geben sie preis? Handelt es sich dabei tatsächlich um einen Ausdruck weiblichen Begehrens? Oder sind es schlicht und einfach Worthülsen, um IHN anzufeuern, SEIN Begehren zu schüren? Ist es Frauen überhaupt möglich, IHRE eigenen Fantasien und Wünsche abseits der genormten Sex-Semantik zu verbalisieren? Oder müssen sie anerkennen, dass es für ihr Begehren keine Worte gibt? Auf der Suche nach aktuellen Antworten begab sich die Londoner Autorin, die an der Queen Mary University weibliche Sexualstörungen erforscht, in ein Labyrinth von eigenen Erfahrungen und patriarchalen Normierungen. (Er)Lösung fand sie dabei keine.
Let’s talk about sex – aber bitte die Codes beachten
Wenn es schon allgemein schwer genug ist, sexuelle Empfindungen in eine sprachliche Form zu gießen – ohne das Beschriebene platt, hohl und entrückt wiederzugeben – so sei die Verbalisierung des weiblichen Begehrens quasi unmöglich. Die von Katherine Angel angeklagte Sprachlosigkeit erweist sich allerdings nicht als eine des verbalen Unvermögens der Frauen, sondern liege klar und deutlich in der männlichen Herrschaftsordnung begründet. Indem nämlich der weibliche Sex die Hierarchisierung der Geschlechter spiegle, sei er – allen emanzipatorischen Bemühungen zum Trotz – männlich definiert und dominiert.
Doch obgleich im gesellschaftlichen Bewusstsein eine genuin weibliche Sexualität, frei von patriarchalen Zu- und Anweisungen, demnach nicht existiert, bedeute das noch lange nicht, dass es sie nicht gibt, meint Katherine Angel. Sie schreibt: „Das Begehren, Begehren auszusprechen, ist ein Begehren, das Schweigen zu durchbrechen. Als solches ist es zugleich auch erotisch, es enthält eine eigene Erregung“. Um es zum Leben zu erwecken, müsste es losgelöst werden, von uralten kulturellen Prägungen. Denn alles, was Frauen zu begehren glauben, sei geprägt von dieser Kultur, ihren Dogmen und Bildern, die davon unbeeinflusste Fantasien verhindern. Das beginne schon bei der Sozialisation, verdichte sich später mit der gesamten Latte an Codes, wie Frauen zu sein haben und erreiche ihren Höhepunkt in den für sie vorgesehenen pornografischen Posen. Um diese Fülle an Zugriffen auf das „Weibliche“ bzw. eine genuin weibliche Sexualität eindrucksvoll abzubilden, bewegt sich die Autorin zwischen Kindheitserinnerungen, tagebuchartigen Notizen, poetischen Sequenzen und literarischen Zitaten.
Den Mann in Sicherheit wiegen
Kleine Mädchen, so Angel, lernen früh, dass es nicht darauf ankomme, sie selbst zu sein, sondern „jemand anderes“. Sie verweist auf Susan Sontag, die diesen Vorgang Konditionierung, X-ig sein, nannte: Den „Zwang, das zu sein, was der andere will. Die Geißel: nicht zu wissen, was die eigenen Gefühle sind; gern verbindlich zu sein“. Wir sollten schon als Mädchen dafür sorgen, Verliererinnen zu sein, führt sie mit Susie Orbach, einem weiteren Urgestein der Frauenbewegung, aus. Es gehe darum, die Buben im Spiel gewinnen lassen, denn Konkurrenz müsse verhindert werden. Die Frauen würden dazu erzogen, die Männer zu schützen, ihnen ihre „unendliche Potenz“ zu beweisen, schreibt Angel: „Ich muss dich in Sicherheit wiegen. Das ist meine Aufgabe“.
Eine derartige – rein spezifisch weibliche – Sozialisation führe zur Entfremdung im eigenen Leib. Getrennt von ihrem Instinkt, ob ihre Gefühle authentisch oder außenorientiert sind, bräuchten sie einen Anker, irgendeinen Halt – und seien es die abgefuckten „sexy“ Posen oder die „abgelutschten“ Worte: „Ja, fick mich, oh ja, fick mich!“ Mit ihrem Begehren hätten sie nichts oder nur rudimentär zu tun.
Heilige oder Hure: X-beliebiges Ding
Doch sogar dann, wenn Frauen sich brav angepasst das patriarchale Sex-Mäntelchen als vermeintlichen Auswurf ihres Begehrens umhängen und sich „geil“ geben, würden sie nicht anerkannt und liefen Gefahr, auf ein Neues degradiert zu werden. Es mache also keinen Unterschied, in welcher Art und Weise sich Frauen gebärden. Sie bleiben X, X-Chromosom, X-beliebig, was immer. Aufgegangen ist ihr das schon in ihrer Teenagerzeit, schreibt Katherine Angel, als sie ein „begehrenswertes, anziehendes Ding“ war. Verführerisch, aber eben „ein Ding. Ein Spielzeug. Und wenn das Verlockende … problematisch wird – wenn das Spielzeug Widerworte gibt oder nicht herumhurt oder doch herumhurt oder dir gegen das Schienbein tritt, wenn du ihm in einem Bus in den Hintern kneifst – , dann geht diese Kultur mit aller Schärfe gegen das Verlockende vor, krempelt es um und macht eine Hure, Schlampe, Nutte, Schlunze, Hure daraus“.
Die Frau als Mimende
Und dabei sei es bis heute geblieben. So sehr sich auch moderne Inszenierungen im Alltag und in der Pornografie bemühen, den Anschein zu erwecken, die traditionelle Codierung der Frau als passives Objekt sei längst überwunden, zeigen sie sich selbst bloß als Abbild eines Phantoms. Denn dieser Schein trügt, betrügt die Frauen, und nicht nur sie. Indem ihr Begehren ignoriert und stattdessen ein künstlich produziertes vorgegaukelt wird, bleibt auch die zum weiblichen Subjekt „erhöhte“ Frau gefangen in der dichotomen Ordnung. Sie kann beim Sex den Ton angeben und als Domina agieren. Auch dann noch bleibt sie die Frau mit den all den Attributen, welche die Kultur für sie bereit hält, auf ihre Rolle konditioniert und reduziert.
Daher sei es im Prinzip unerheblich, ob sie sich als passives Objekt unterwirft, sich fesseln und quälen lässt und dabei vorgibt, Lust zu empfinden. Oder sie ob dieses Tuns tatsächlich Lust empfindet, weil Anerkennung oder sogar Liebesbeweise empfindend (ja, sie ist brav und tut, was man ihr vorschreibt). Oder sie als Ausführende, als mimendes Subjekt, ihn fesselt und peitscht (seinen Wunsch und ihr Bravsein erfüllt), sich so gebärdet wie es die Pornos vorzeigen. Schlussendlich ist sie lediglich Ausführende unter seiner Regie. Eine Mimende, brav, angepasst, gezähmt.
Wild & ungebändigt
„Warum gefällt einem das Wilde, Ungebändigte?“, zitiert Angel Virginia Woolf. Liegt es daran, dass es dem weiblichen Begehren nahe kommt? Steht das „Wilde“ als Synonym für ausschweifende und deshalb unsägliche, unbeschreibbare Sehnsucht? Einer Sehnsucht nach Freiheit, die den Frauen von jeher verwehrt wird? Auch Katherine Angel bleibt die Worte für das weibliche Begehren schuldig. Das Einzige, was zu beschreiben ihr möglich ist, beschränkt sich auf die Unmöglichkeit, die „wahren“ Worte zu finden. Und dennoch sagt sie damit mehr als tausende Sätze es könnten. Die vielen nur spärlich bedruckten Seiten des Buches symbolisieren das Symptom: die Verschwendung ungeheuer sprudelnder lebendiger Energie. Nicht auszusprechen, nicht zu erfüllen. „Inmitten des Lebens sind wir vom Tode umfangen“.
(Dagmar Buchta/dieStandard.at, 22.09.2013)
Katherine Angel:
Ungebändigt. Über das Begehren, für das es keine Worte gibt.
(Unmastered. A Book On Desire, Most Difficult To Tell)
Tropen Verlag 2013, € 22,60