Gemeinsam statt einsam

Anonym in der Großstadt wohnen war gestern. In den Wiener Frauenwohnprojekten [ro*sa] leben Singles und Kleinfamilien unter einem Dach und helfen einander im Alltag.

Geschirrgeklapper, Stimmengewirr, Gelächter. Wie eine Großfamilie sitzen die Bewohnerinnen des Frauenwohnprojekts [ro*sa] Kalypso in der Oswaldgasse in Wien Meidling beim sonntäglichen Brunch. Der Tisch biegt sich unter selbstgemachten Köstlichkeiten wie Quiche, Gugelhupf und verschiedenen Aufstrichen. Jede Frau hat etwas mitgebracht, und obwohl unabgesprochen, seien Überschneidungen selten. „Es kommt schon vor, dass mal Süßes überwiegt oder das Brot fehlt“, berichtet Vereinsfrau Anna Rose, „aber der Bäcker, der auch sonntags offen hat, ist ja gleich ums Eck“. Die Diplomingenieurin für Architektur, die schon während ihres Studiums in einer Gemeinschaft leben wollte, konnte sich ihren Wunsch vor vier Jahren erfüllen: „Die Nähe und der intensive Austausch hier sind einfach fantastisch. Es ist erstaunlich, wie schnell sich Vertrautheit mit fremden Personen einstellte, das gibt’s ja bei normaler Nachbarschaft kaum“, meint sie und strahlt: „Wir sind eben eine richtige Gemeinschaft“.

Auch Männer sind willkommen

Dass die Unterschiede zum Leben in einem herkömmlichen Wohnhaus tatsächlich frappierend sind, war auch die grundlegende Intention zur Gründung der mittlerweile drei Frauenwohnprojekte in Wien, von denen zwei (in Meidling und Donaustadt) bereits 2009 realisiert wurden, und das dritte (in Simmering) im Herbst 2014 bezugsfertig sein soll. Als Architektin Sabine Pollak ihre Idee für ein alternatives Wohnprojekt 2003 einer Gruppe von Frauen vorlegte, waren sich alle einig: Es sollte eine Hausgemeinschaft sein, in der Frauen  verschiedenen Alters sowie sozialer und kultureller Herkunft mit ihren Kindern und PartnerInnen gleichwertig und im gegenseitigen Austausch zusammenleben – Männer inklusive. Denn wie irrtümlich aus dem Begriff „Frauenwohnen“ abgeleitet werden könnte, sind „männliche Bewohner nicht ausgeschlossen, sondern durchaus willkommen“, erklärt Ingrid Farag, Obfrau des Vereins. Das Besondere an den [ro*sa]-Projekten sei vielmehr, dass alle Agenden in Frauenhand liegen, von der Planung über die Organisation bis zu den Verträgen.

 „Die Gemeinschaft gibt mir Rückhalt“

Realisiert wird die zentrale Idee „Miteinander statt nebeneinander“ in vielen verschiedenen Bereichen. Ob beim gegenseitigen Aufpassen auf die Kinder, dem abwechselnden Begleiten der Kids in Kindergarten und Schule, der Versorgung von Haustieren und Pflanzen im Urlaubs- und Krankheitsfall oder dem Mitbringen von Einkäufen. „Einander helfen ist selbstverständlich“, meint Farag, „auch wenn eine mal eine Ansprache braucht“. „Wenn ich mich ausweinen will, finde ich immer ein offenes Ohr“, sagt Elisabeth Stich, mit 66 Jahren die Älteste im Projekt. „Die Gemeinschaft gibt mir Rückhalt, das schätze ich sehr“. Die Pensionistin sorgt übrigens mit ihrem „Mittagstisch“ zweimal wöchentlich für das leibliche Wohl der BewohnerInnen. Davon profitieren nicht nur die berufstätigen Frauen und Männer, sondern auch Elisabeth selbst, die ihrer Kochleidenschaft frönen kann und gleichzeitig das gute Gefühl bekommt, etwas Sinnvolles zu leisten.

Es sind aber nicht nur die vielen kleinen Hilfsdienste, die den Alltag erleichtern. Auch die gemeinsamen Aktivitäten tragen wesentlich zum Wohlbefinden bei. Neben dem Sonntagsbrunch gibt es jede Woche einen Yoga-Abend, Shiatsu-Stunden, eine Nähgruppe, Filmabende, feministische Diskussionen und jede Menge Feiern – Weihnachten, Silvester, Fasching, Geburtstage oder spezielle Kinderfeste. „Bei uns ist immer was los“, lacht Ingrid Farag, und verweist auch gleich auf die wöchentliche Vereinssitzung, die bei all dem Vergnügen dennoch nötig sei, damit das Werkl funktioniert.

Das dürfte es, sehr gut sogar. Viele der 28 Vereinsfrauen (zwischen 24 und 66 Jahren), die heute in der Oswaldgasse leben, können sich kein besseres Wohnmodell vorstellen. „Es geht ja über das Frauenpolitische des Projekts hinaus“, meint Elisabeth Stich, „es ist die Lebenslust“. Und die zeige sich auch ganz stark im generationenübergreifenden Miteinander. Als „Köchin“ Elisabeth von der Wohnungssuche der 20-jährigen Annina Kinzner erfuhr, überlegte sie nicht lange und nahm die Studentin auf. „Wir haben ein Abkommen der gegenseitigen Unterstützung“: Elisabeth kann ihre Muttergefühle ausleben und an der jugendlichen Frische partizipieren, und Annina wiederum tun Fürsorglichkeit und Erfahrung der 66-Jährigen gut, „das ist ein super Austausch“.

„Wir passen auf uns auf“

„Alles hier ist so bunt, das Frauenzentrierte, die verschiedenen Generationen und Ethnien… das lebt so!“, zeigt sich auch Renate Frotzler-Dittrich begeistert. „Früher habe ich meine Freundinnen in WGs immer beneidet. Als ich dann vom Projekt erfuhr, war’s ein großer Glücksfall“, sagt sie. Nach zwanzig Jahren am recht turbulenten Spittelberg sehnte sie sich nach einer geruhsameren und vor allem weniger anonymen Wohnstatt. In der Oswaldgasse habe sie mittlerweile viele private Kontakte, „irgendwer hat immer den Schlüssel zum Katzenfüttern“. Angst vorm Alleinsein oder einem Einbruch kenne sie hier nicht: „Wir passen aufs Haus auf und wir passen auf uns auf“, sagt sie und lacht. Dem kann sich Claudia Matheis-Bittner, die schon in der Planungsphase mit dabei war, nur anschließen. Obwohl es sechs Jahre harter Arbeit waren, in denen von der Vereinsgründung mit unzähligen Workshops bis zur Suche eines geeigneten Standortes enorme bürokratische Hürden überwunden werden mussten, habe es sich mehr als gelohnt. „Hier habe ich beides, die Gemeinschaft, die ich mir wünsche und den Rückzug, der mir auch wichtig ist“, erzählt die Psychotherapeutin, die durch ihre hausinterne Praxis Leben und Arbeit unter einem Dach verbinden kann.

 Von der Wiege bis zur Bahre

Alleine in einer Wohnung mit nur oberflächlichen Kontakten im Haus, kann sich auch Ingrid Farag nicht mehr vorstellen. Vor allem die Älteren in der Oswaldgasse möchten am liebsten bis an ihr Lebensende hier bleiben. „Damit es auch dann noch gut funktioniert, überlegen wir uns gerade Modelle für die Betreuung im Radldienst, eventuell mit Pflegepersonal von Außen“,  berichtet Elisabeth Stich, „und drei von uns haben sich sogar schon ein gemeinsames Grab am Friedhof hier im Kabelwerk gekauft“.

Ein echtes Freundinnen-Netzwerk mit gegenseitiger Unterstützung von der Wiege bis zur Bahre, das klingt zu schön, um wahr zu sein. „Natürlich haben wir auch unsere Krisen“, gesteht Farag, „aber dann organisieren wir eben eine Supervision, bis wieder Einigkeit herrscht“.

(Dagmar Buchta/WIENERIN, Nov. 2013)

Ausgeklügelte Infrastruktur
Vergleichbar den bereits bestehenden Objekten wurde auch in Simmering eine optimale U-Bahn-Anbindung (U3 Enkplatz) und Infrastruktur bedacht. Auf den Mautner-Markhof-Gründen sollen Geschäfte, Kindergärten, Bank, Restaurants und ärztliche Praxen entstehen – ein kleines dörfliches Ambiente mitten in der Stadt, in dem das soziale Miteinander im Vordergrund steht.

Fakten & Kosten
Für [ro*sa] im Elften sind 50 Wohnungen in der Größe von 45m2 bis 100m2 geplant, wovon zwei Drittel vom Verein und ein Drittel übers Wohnservice der Stadt Wien vergeben werden. Die Finanzierung funktioniert wie bei Genossenschaften mit Eigentumsoption, wobei pro m2 Euro 498 und für die Miete pro m2 Euro 6,50 zu berappen sind. Freie Plätze sind noch vorhanden.

Infos & Kontakt
Im Café Prückl werden regelmäßig Treffen für Interessierte abgehalten:
Termine unter Tel 0681 1074 4500 oder rosa@frauenwohnprojekt.info
www.frauenwohnprojekt.info