Gegen die Androzentrie in der Architektur
Von Julia Morgan bis Zaha Hadid spannt sich der Bogen eines Buches über Frauen in der Baukultur und kommt erfreulicherweise ohne Gender-Debatte aus.
Bauen Frauen anders? Seit der Begriff „gender“ in nahezu jedem gesellschaftlichen Bereich Anwendung findet, werden Fragen wie diese in den Raum gestellt. Die möglichen Antworten – verifizierbar sind sie sowieso nicht – belegen deren Unsinnigkeit. Frauen bauen, wie sie eben bauen. Genauso unterschiedlich wie Männer. In diesem Sinne geht es in dem Buch „Wie Frauen bauen“ auch nicht um einen weiteren Gender-Diskurs in der Architektur, sondern um das Sichtbarmachen der Leistungen von Architektinnen im 20. Jahrhundert und darüber hinaus.
Und hier wird Erstaunliches dokumentiert. Denn neben den Berühmtheiten Margarete Schütte-Lihotzky, Gae Aulenti und Zaha Hadid stellt die Autorin Sonia Ricon Baldessarini Leben und Werk neun weiterer Architektinnen vor, die den meisten LeserInnen – außer sie sind InsiderInnen – wohl kaum ein Begriff sein werden. Dieses Defizit liegt zum einen in der androzentrischen Publikationsmaschinerie begründet, erklärt sich zum anderen aber auch durch die fatale Zäsur der NS-Zeit.
Denn in den 1920er- und 1930er-Jahren existierte in Europa eine rege Frauen-Baukultur, die durch die absichtliche Zerstörung von Büros und Materialien sowie die notwendige Emigration vieler Architektinnen ihr vorzeitiges Ende gefunden hat und symbolisch für diesen geistigen und materiellen Verlust steht.
Das Buch erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, spiegelt jedoch die Themenkomplexe der Architekturdiskussion des letzten Jahrhunderts in allen Facetten: Vom historischen Repräsentationscharakter (Julia Morgan, Emilie Winkelmann) über avantgardistisches Denken (Eileen Gray, Lilly Reich) und Traditionsbewusstsein (Lux Guyer), soziale Aspekte (Margarete Schütte-Lihotzky, Hilde Weström, Lina Hillebrand, Gae Aulenti) bis hin zum exegetischen Charakter urbaner Interpretationen (Itsuko Hasegawa, Zaha Hadid).
Gleichzeitig wird deutlich, wie wenig Material über „bauende Frauen“ – sowohl architekturtheoretisch als auch baupraktisch – im allgemeinen Bewusstsein vorhanden ist.
(dabu/dieStandard.at, 18.06.2011)
Sonia Ricon Baldessarini:
Wie Frauen bauen. Architektinnen von Julia Morgan bis Zaha Hadid
Aviva Verlag 2001