„Die starke Frau wird kommen“

Mit ihrem Buch „Mütter und Amazonen“ verband Sir Galahad die Hoffnung auf eine neue Frauengeneration – ein Porträt zum 75. Todestag der Schriftstellerin Bertha Eckstein-Diener.

Warum gerade ein Ritter der Artussage als Pseudonym für die Wiener Schriftstellerin Bertha Eckstein-Diener herhalten musste, ist genauso ein Rätsel wie viele andere noch nicht gelüftete Details über ihr Leben. Gut möglich, dass sie sich bloß einen Jux machen wollte. Sich belustigen über die damals gültige Norm, eine Publikation nur dann ernst zu nehmen, wenn sie aus der Feder eines männlichen Autors stammt. Die ironische Aneignung überspitzter männlicher Attribute hätte jedenfalls gut zu ihr gepasst.

Denn Eckstein-Diener hatte eine Vorliebe für Ironie, das spricht aus ihren Büchern ebenso wie ihr Hang zu Exzentrik und Extravaganz. Dass sie darüber hinaus exzellent im Denken, Analysieren und Schreiben war und 1932 mit „Mütter und Amazonen“ die „erste weibliche Kulturgeschichte“ publizierte, hätte sie eigentlich berühmt machen müssen, oder zumindest in eine Reihe stellen mit August Bebel, Lewis Morgan, Wilhelm Reich, Friedrich Engels u.a, die ebenfalls zum Matriarchat forschten. Doch Eckstein-Diener war eben nur ein Sir auf dem Papier und kein „echter Mann“, und so verschwand ihr Werk gleich nach ihrem Tod 1948 in der Versenkung, wo es über dreißig Jahre hindurch bleiben sollte.

Reanimation durch die Neue Frauenbewegung

Erst als in den 1980er-Jahren die Theorien zum Matriarchat von der feministischen Forschung aufgegriffen wurden, legte der Ullstein-Verlag „Mütter und Amazonen“ neu auf. Innerhalb kurzer Zeit wurde das Buch zum Geheimtipp unter Feministinnen, die nach Belegen für eine alternative Frühgeschichte und Erklärungen für patriarchale Herrschaftsstrukturen suchten. Kritik gab es trotzdem, wenn auch nicht unbedingt aus den eigenen Reihen. Bertha Eckstein-Diener hätte „reichlich zweifelhafte Quellen“ verwendet, so der Vorwurf, der geradeaus ins Leere lief. Denn ein wissenschaftliches Werk war von ihr nie intendiert worden. Im Gegenteil, schreibt sie doch gleich zu Beginn ihres Buches: „Dies ist die erste weibliche Kulturgeschichte. Sie bemüht sich, so einseitig wie möglich zu bleiben, auf jener Seite nämlich, deren plastische Durchgestaltung bisher gefehlt hat“.

So wenig Wert sie auf Objektivität legte, so wenig war es ihre Absicht, zu provozieren. Es ging ihr lediglich um zwei Dinge: Erstens der „ausschließlich aus männlicher Sicht geschriebenen Geschichte den weiblichen Teil“ entgegenzusetzen: „Gerade das Hälftenhafte hier wie dort mag dann, überblickt, sich zu Ganzem fügen“. Und zweitens durch das Aufzeigen der „Vormachtstellung, Fähigkeiten und Leistungen der früheren Frauen in den weiblichen Reichen“ den Frauen ihrer Zeit „das nötige Selbstbewusstsein“ zu vermitteln und sie soweit zu stärken, dass eine neue Frauengeneration heranwachsen konnte. Mit dem neuen Wissen würden sich die Frauen ihrer Macht und ihres Einflusses bewusst werden und als „neue, gestärkte Frauen an ihren Platz kommen“.

Universales Gesamtwerk der weiblichen Kulturgeschichte“

Um diese Vision einer breiten Aufklärung zu realisieren, war es nach Ansicht Bertha Eckstein-Dieners allerdings nötig, ein „universales Gesamtwerk der weiblichen Kulturgeschichte“ zu schaffen, waren doch die damals vorliegenden Studien alle vereinzelt und zur Verbreitung wenig geeignet. So trug sie gewissenhaft und gründlich alles zusammen, was an wissenschaftlichen Erkenntnissen ihrer Zeit über Gesellschaftsformen vor und neben dem Typus des Patriarchats vorhanden war – von Johann Jakob Bachofens „Mutterrecht“ bis zu Mathilde Vaertings Pendeltheorie und ergänzte das Material mit Beobachtungen, die sie auf ihren vielen Reisen gemacht hatte. Das Ergebnis nach sechsjähriger Arbeit ist durchaus beeindruckend: In keinem vergleichbaren Werk aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist eine derartige Fülle an Informationen über Matriarchate weltweit zu finden. Insofern sollte großzügig über die ihr vorgeworfene „Unwissenschaftlichkeit“ hinweggesehen werden, die nebenbei bemerkt auch der androzentrischen Wissenschaft innewohnt, und „Mütter und Amazone“ als das genommen werden, wie es sich selbst darstellt: ein überreiches Kompendium, das den Diskussionsstand der damaligen Zeit widerspiegelt.

Wer verbirgt sich hinter Sir Galahad?

Bertha Helene Diener, geboren am 18. März 1874 in Wien, habe sich schon als kleines Mädchen gegen Konventionen aufgelehnt, schreibt Sibylle Mulot-Deri in der übrigens einzigen Biografie, die es über Eckstein-Diener gibt. Bertha wollte etwas Eigenständiges erreichen, was für Frauen ihrer Zeit bekanntlich nicht vorgesehen war. Als Tochter eines vermögenden Fabrikanten (die Mutter wird nicht erwähnt) wird sie von einer Gouvernante erzogen und erhält privaten Latein- und Griechisch-Unterricht. Schon früh beschäftigt sie sich mit Geschichte, Kulturwissenschaften, Archäologie und Okkultismus.

Als sie mit 18 den um dreizehn Jahre älteren Friedrich Eckstein begegnet, imponiert ihr vor allem sein Intellekt. Er gilt als „Polyhistor“ mit der „schönsten Privatbibliothek Österreichs“, bei dem sich ganz Wien Bücher borgt, und der mit Hermann Bahr, Rudolf Steiner, Arthur Schnitzler, Anton Bruckner u.a. verkehrt. Bertha heiratet ihn sechs Jahre später und verlässt ihn bald darauf auch schon wieder. Denn so sehr er sich als Vermittler der intellektuellen Welt eignet, so wenig kann er ihr das geben, was sie ebenso braucht – „das Sinnliche, Raffinierte, Frivole“, wie Eckstein-Diener in ihrem autobiografischen Roman „Die Kegelschnitte Gottes“ anführt. Sie findet es bald darauf bei Theodor Beer und eine „amour fou“ – romantisch und zerstörerisch zugleich – beginnt. Denn der Mediziner, überzeugte Materialist und Lebemann erweist sich nicht nur als das genaue Gegenteil von Friedrich Eckstein, sondern auch als hinterhältiger Betrüger. Es dauert lange, bis Bertha ihn durchschaut. Beer hält um ihre Hand an, wünscht sich ein Kind von ihr und erpresst sie schlussendlich, sowohl moralisch als auch finanziell. Nachdem sie sich nicht sogleich von Friedrich scheiden lässt, vor allem weil sie dann nach damaligen Recht, ihren Sohn verloren hätte, heiratet Beer aus Trotz eine andere. Erst 1903 trennt Bertha sich von Friedrich Eckstein – auf Probe, das Kind bleibt bei ihm.

Die freien Jahre der Schriftstellerin

Nun nutzt sie ihre Freiheit, um sich weiterzubilden: Sie hospitiert bei berühmten Chirurgen und Chemikern in Bern und Berlin und hört philosophische Vorlesungen in Paris. Dann geht sie fünf Jahre auf Reisen. München, Berlin, die Schweiz, England, Griechenland und Ägypten sind die Stationen, die sie in ihren Reiseglossen unter dem Pseudonym Sir Galahad beschreibt. 1909 scheint Bertha wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Auch das Geld aus der Erbschaft nach dem Tod ihrer Eltern stabilisiert ihre Situation und bei mäßiger Lebensführung hätte sie von den Zinsen gut leben können.

Da meldet sich Theodor Beer wieder bei ihr, sie lässt sich erneut auf ihn ein und wird schwanger. Nach der Scheidung von Friedrich hofft sie auf ein Leben mit Theodor. Doch es kommt anders: Er täuscht vor, sich ebenfalls scheiden zu lassen, wenn sie ihm einen beträchtlichen Teil ihrer Erbschaft überlässt. Als er das Geld erhält, brennt er mit seiner langjährigen Geliebten durch.

Zutiefst enttäuscht und beinahe mittellos zieht sich Bertha Eckstein-Diener daraufhin in ein Leben für die Literatur zurück. Bis zu ihrem Tod publiziert sie mehrere, zumeist historische Bücher, von denen „Mütter und Amazonen“ und „Die „Kegelschnitten Gottes“ am bekanntesten sind. Den späten Ruhm kann sie nicht mehr ernten. Sie stirbt 78-jährig mitten in der Arbeit und voller Pläne am 20. Februar 1948 in Genf. (dabu)

Werke:
Im Palast des Minos. 1913
Die Kegelschnitte Gottes. 1921
Idiotenführer durch die russische Literatur. 1925
Mütter und Amazonen. Ein Umriss weiblicher Reiche. 1932
Byzanz. Von Kaisern, Engeln und Eunuchen. 1936
Bohemund. Ein Kreuzfahrer-Roman. 1938
Seide. Eine kleine Kulturgeschichte. 1940
Der glückliche Hügel. Ein Richard-Wagner-Roman. 1943