Den Schleier lüften

Welche Motive Frauen zum Anlegen von Burka & Co bewegen und was historische Quellen über den Schleier aussagen.

Mit der im vergangenen halben Jahr in Europa wieder verstärkt geführten Debatte, ob der Ganzkörperschleier als Symbol der Frauenunterdrückung verboten oder als „Recht auf Selbstbestimmung“ toleriert werden soll, ist die Burka zum Synonym für alle möglichen Arten der Totalverschleierung geworden. Dabei wird sie lediglich in Afghanistan, Pakistan und Indien getragen, wobei die blaue Variante mit einem gitterartigen Sichtfenster in Afghanistan während der Taliban-Herrschaft vorgeschrieben war. Vor der Machtergreifung waren auch schwarze, grüne, orange und weiße Burkas üblich. Die pakistanische, zumeist schwarze Burka lässt die Augen dagegen frei.

Bedeutungen

Schwarze Ganzkörperschleier mit Sehschlitz sind auch Hidschab oder Hijab, die in Saudi-Arabien und im Iran als Pflicht gelten. Unter Niqab versteht man einen Gesichtsschleier, der in Verbindung mit einem Tschador, Carsaf oder einem anderen schwarzen Gewand auf der arabischen Halbinsel, in Ägypten, Syrien, Jordanien und dem Irak getragen wird. Eben genannter Tschador kommt aus dem Persischen und bedeutet „Zelt“: ein zumeist schwarzes Tuch wird mantelartig um Kopf und Körper gewunden, wobei nur eine schmale Gesichtspartie frei bleibt.

Die türkische Form der Totalverschleierung heißt Carsaf, was wörtlich übersetzt „Betttuch“ bedeutet. Wie beim iranischen Tschador wird der untere Teil des Gesichts dadurch verdeckt, in dem das Tuch unter der Nase mit einer Nadel zusammen gehalten wird. Im Unterschied zum Tschador besteht der Carsaf zumeist aus zwei Teilen, einem oberen, der bis über die Hüfte herabreicht und einem unteren, der wie ein bodenlanger Rock geschnitten ist. Die türkische Pardesü wiederum entspricht einem bodenlangen Mantel, der in Kombination mit einem Kopftuch getragen wird.

Motive

Noch Anfang der 1980er-Jahre war das Tragen von Pardesü, Carsaf, Hidschab und Tschador auf ländliche Gebiete beschränkt. Wurden vor zehn Jahren nur vereinzelt verschleierte Frauen, zumeist höheren Alters und aus bildungsfernen Schichten beispielsweise der Türkei in Österreich gesichtet, sind es heute auch junge, gut ausgebildete Frauen – und immer mehr Österreicherinnen, die sich für den Islam und damit das Kopftuch entschieden haben.

Die Motive der Frauen sind sehr unterschiedlich. Vorausgesetzt sie tun es freiwillig, dann reicht die Skala vom „Recht auf individuellen Selbstausdruck“ und Emanzipation, Widerstand gegen Assimilationismus bis zu Tradition und Angst vor sozialen Sanktionen. Bei einer von der Konrad-Adenauer –Stiftung 2006 durchgeführten Studie kam noch ein anderes Motiv zum Vorschein: mit Kopftuch & Co würden sie ausdrücken, zu einem „auserwählten, besseren Teil der Menschheit“ zu zählen, weil sie von der „Überlegenheit des Islam“ überzeugt sind.

Quellen

Die Koran-Stellen, die als religiöse Quellen herangezogen werden, liefern keine eindeutigen Anhaltspunkte für die Schleier-Pflicht. In Sure 24,31 wird Frauen nahe gelegt, einen „himar“ (Schal) zu tragen, der ihren Schmuck versteckt. In Sure 33,59 wird „gilbab“ (Gewand) erwähnt, welches Frauen tragen sollen, damit sie „erkannt“ und nicht belästigt werden. Und Sure 33,53 richtet sich nur an die Frauen des Propheten, die ihre Bitten hinter einer Abschirmung („higab“) sprechen sollen. Insbesondere aus letzter Stelle leiten klassische Koran-Interpreten die religiöse Pflicht zum Tragen des „hijab“ ab.

Auch das Alte Testament birgt Hinweise für den Schleier. Als „Symbol des Anstandes“ war er jedoch den Frauen der Oberschicht vorbehalten und für den Besuch des Gottesdienstes obligatorisch. Europaweit war ein Kirchenbesuch ohne Kopftuch bis in die 1970er-Jahre undenkbar. Während Männer den Hut beim Betreten des Gotteshauses abnahmen, mussten Frauen Kopf und Haar bedecken, worin sich eine Form der Geschlechterhierarchie zeigt: Gott gilt als Haupt des Mannes und dieser als Haupt der Frau. Demgemäß drückt der noch heute übliche Brautschleier die Verfügungsgewalt der Männer über Frauen aus. Die verschleierte Braut wird vom Brautvater am Altar dem Bräutigam übergeben, der den Schleier lüften darf. Auch christliche Nonnen kommen „unter die Haube“, sie „nehmen den Schleier“, wenn sie ins Kloster eintreten und zu „Bräuten Christi“ werden.

Seit der Etablierung monotheistischer Vaterreligionen sollten das Haar, als „schönsten Schmuck der Frau“ nur diejenigen zu sehen bekommen, die „ein Recht“ darauf haben. Kein Wunder also, dass im Hexenhammer der Dominikaner Heinrich Kramer und Jakob Sprenger unbedecktes, ungebändigtes Haar als ein deutlicher Hinweis für eine selbstbestimmte Frau, die sogenannte „Hexe“ angeführt wurde.

(Dagmar Buchta/an.schläge, Mai 2010)